Eine Filmkritik von Simon Stockinger
Tragikomödie mit lauwarmem Bodyhorror-Tease
Als die junge überforderte Frau (Amy Adams) im Supermarkt auf eine alte Bekannte trifft, antwortet sie auf deren Frage, wie es ihr als Mutter gehe, mit einer bitteren Aufzählung: Sie sei voller Ängste, spüre sich verdummen, fühle sich wie in einem Gefängnis. Freilich erfahren wir sofort, dass diese ehrliche Antwort wider alle Konventionen des Smalltalks nur eine Fantasie der Protagonistin war. In echt antwortet sie, dass es schön sei Mutter zu sein. Beide lächeln und gehen ihrer Wege.
Mit diesem komödiantischen Kniff beginnt der vierte Langfilm von Marielle Heller, eine schwarze Tragikomödie, basierend auf dem gleichnamigen Roman von Rachel Yoda (2021). Die namenlos bleibende Protagonistin hat ihre Karriere als Künstlerin aufgegeben, ist mit Mann und Kind in den Vorort gezogen und verzweifelt dort langsam an ihrer Rolle als stay-at-home Mom. Ihr Mann (Scoot McNairy) ist nur an Wochenenden zuhause und ist auch dann keine echte Hilfe; die anderen Mütter aus den Yoga- und Singkursen, die in diesem Upperclass-Suburbia nur von Frauen frequentiert werden, nerven sie; und mit den alten Freund*innen aus der urbanen Kunstszene kann sie nicht mehr mithalten.Hellers Inszenierung denunziert Familienidyll und Kinderglück dennoch nie, sondern inszeniert beides warmherzig und lustig, als etwas zu Begehrendes, dessen Arbeitsaufwand allerdings auch im hier satirisch ausgeleuchteten liberalen Besserverdiener*innen-Milieu unfair verteilt ist, wofür es selbstverständlich immer irgendein „gutes“ Argument gibt (etwa die Einkommensunsicherheit der Künstlerin im Gegensatz zum Privatwirtschaft-Ehemann).
Heller lässt die von Müdigkeit und Unwillen gezeichnete Amy Adams eine Bobo-Klischeesituation nach der anderen durchlaufen. Das ist witzig, energiegeladen und charmant inszeniert; mit schnellen Szenenwechseln, vielen Close-Ups von den Tätigkeiten der häuslichen Sorgearbeit und Einsprengseln, in denen Adams als Erzählerin direkt in die Kamera spricht.Zum mühsamen Alltag kommen dann auch noch unheimliche körperliche Veränderungen hinzu, so entdeckt die Mutter immer mehr Anzeichen, dass sie sich nachts in einen Hund verwandeln könnte: Haare an unerwarteten Stellen, Schmutz am Körper, ein verfeinerter Geruchssinn, wirre Träume. Außerdem ist da diese freundliche Hunde-Gang, die zum nächtlichen Rudel-Ausflug einlädt und totes Tier vor der Tür ablegt.
Nightbitch baut zunächst eine Erwartung auf, in der das heimsuchende Animalische als das aufbegehrende Andere der Mutterrolle figuriert: Ein vitalistisches Ausbrechen aus dem Kleinfamilien-Gefängnis. Diese Aussicht kündigt ein Mehr an Genre an, denn die beginnende Metamorphose vollzieht sich lustvoll im Bildregister des Körperhorrors. Heller setzt diese Erwartung allerdings nicht um. Das ist keine Überraschung eingedenk ihrer bisherigen Dramedy-Spezialisierung (Can You Ever Forgive Me, The Diary Of A Teenage Girl). Der eigentliche Twist des Films besteht dann auch darin, dass sich das animalische Erwachen nicht als Exzess gegen die gesellschaftlich normierte Mutterrolle entfaltet, sondern sich ganz im Gegenteil als eine Art lustvoller Korrekturmodus erweisen wird. Denn die Protagonistin entdeckt schnell praktische Vorteile am hündischen Treiben: So spielt sie mit ihrem Sohn, dass beide Hunde seien, und bringt ihn damit endlich dazu, die Nacht durchzuschlafen – in einem Hundekorb.Es ist diese Ambivalenz der Verwandlungsfantasie, die Nightbitch in einem gesetzt konsens-orientierten Rahmen durcharbeitet: Die Geschmacksgrenzen des Publikums werden weder hinsichtlich des Körperhorrors strapaziert noch hinsichtlich geschlechter-politischer Fragen.Nightbitch gehört folglich nicht in die gegenwärtige Welle feministisch-transgressiver Aufgriffe des Körperhorror-Genres, wie beispielsweise Julia Durcournaus brillanter Film Titane (2021) oder Coralie Fargeats eher plump-politisches Style-Fest The Substance (2024).
Die eigentliche Metamorphose besteht in Nightbitch schließlich darin, dass sich die Protagonistin von der stay-at-home Mom in eine erfolgreiche Künstlerin zurückverwandelt. Sie bleibt allerdings zugleich Suburbia-Heldin, liebende Mutter und Ehefrau. Die auf Edginess und Entmystifizierungs-Witz setzende filmische Aneignung von Mutterschaft erweist sich damit zuletzt als Bobo-Wunschbild. Ausgerechnet die künstlerische Ausstellung – bekanntlich ein Bereich, in dem Frauen weiterhin oft völlig von der Bildfläche verschwinden, sobald ein Kind da ist – bildet schließlich die Folie für die Integration der unvereinbaren Welten: Kunstszene und Vorstadt, Natur und Gesellschaft, das Artifizielle und das Natürliche. Die harmonische Auflösung aller Widersprüche mündet in einer haarsträubend paradoxen Pointe: Lass das Tier in dir zu, dann kriegst du Job und Kind und Mann unter einen Hut.
Gesehen bei der Österreich-Premiere im Rahmen der VIENNALE 2024
Eine junge Mutter legt ihre eigene Karriere auf Eis, um sich um ihren Sohn zu kümmern. Ein Knochenjob zwischen HolzeisenbahnundLätzchen. Doch als sie körperliche Veränderungen feststellt – geschärfte Eckzähne und Haare, die sich wie Fellbüschel anfühlen – entdeckt sie eine unbekannte, animalische Seite an sich. Je stärker sich die rationale Künstlerin auf ihre Verwandlung einlässt, desto natürlicher gestaltet sich die Beziehung zu ihrem Kind. Doch wie soll sie es ihrem Mann erklären, dass der Sohn neuerdings im Hundekorb schläft und statt Joghurt und Cornflakes lieber rohes Fleisch frühstücken möchte?